FEHLERTEUFEL
Die Corona-Pandemie manövriert immer mehr Familien in eine andauernde Phase höchster Belastung. „Der ‚Druck im Kessel‘ ist bei vielen enorm groß“, bestätigt Kinder- und Jugendanwalt Martin Menzel-Bösing. Er bittet Eltern oder alleinerziehende Elternteile, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn es immer wieder zu Eskalationen mit dem Kind kommt, denn er weiß: „Kinder können – und in Krisensituationen ganz besonders – äußerst anstrengend sein, die Eltern förmlich an Grenzen bringen“. Ergotherapeuten, denen seiner Meinung nach beim Kinderschutz eine Schlüsselposition zukommt, vermitteln Eltern Strategien für einen besseren Umgang mit kritischen Situationen ebenso wie einen neuen Blick auf das eigene Kind und sich selbst. Das Gute: als systemrelevanter Part der medizinischen Versorgung kümmern sich ergotherapeutische Praxen auch während des Lockdowns um ihre Patienten und Klienten, vor Ort oder per Videotherapie.
Zusätzlich zur persönlichen Bedeutung und vielen weiteren Aspekten gibt Arbeit Menschen eine Struktur, einen geregelten Alltag. Das gilt auch und noch mehr für Menschen mit einer Depression. Damit sie diese Sicherheit behalten können, besteht die Möglichkeit, sechs Monate nach der Diagnose den (Schwer-)Behindertenstatus zu beantragen. „Das ist gut und sinnvoll“, sagt Stephanie Knagge und erklärt: „Depression macht vor allem eines: antriebslos“. Die Antriebslosigkeit gilt es auszuhebeln, was durch einen strukturierten Alltag, soziale Kontrolle und Routinen wie etwa bei der Arbeit, klappt. Die Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) rät daher ihren Patientinnen und Patienten mit Depression: unbedingt weitermachen, weiterarbeiten, so gut und so lange es geht. Denen, die aktuell feststellen, dass sie den Herausforderungen von Homeoffice oder online-Studium nicht gewachsen sind, empfiehlt sie: direkt professionelle Hilfe holen.
Im zweiten Corona-Lockdown und bei weiter steigenden Zahlen Infizierter gibt es noch immer Patienten, die schon zu Beginn der ersten Infektionswelle erkrankten und bis jetzt daran leiden. Die wenigsten haben nach einem schweren Krankheitsverlauf, Aufenthalt in der Intensivmedizin und dem Ende der Beatmung alles ausgestanden. „Neurologische Folgen, Sensibilitätsstörungen an Händen und Füßen, kognitive Defizite oder Erschöpfungszustände sind einige der Nachwirkungen, um die sich Ergotherapeuten bei Covid-19-Patienten kümmern“, fasst Henny Paeschke, DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.), zusammen. Sie und ihre Berufskollegen spielen eine zentrale Rolle bei der weiteren, interdisziplinären Behandlung von Patienten mit Covid-19.
Der Ausbruch des Coronavirus hat die Welt aus den Angeln gehoben und das Leben vieler Menschen steht noch immer Kopf. „Manche haben ihre tägliche Routine verloren, ihren Halt und das Vertrauen, sich im Rahmen veränderter Bedingungen auf ihr Bauchgefühl verlassen zu können“, stellt Stefanie Völler, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) fest. Welche Bedeutung das Bauchgefühl in der Ergotherapie hat, wissen Ergotherapeuten durch ihre tägliche Arbeit in bestimmten Bereichen. Mit Feingefühl vorzugehen, ist bei ihren Interventionen ebenso nötig wie Zwischen- und Untertöne zu erfassen. Zusätzlich zu ihrem wissenschaftlich fundierten Vorgehen lassen sie sich daher von ihrem Bauchgefühl und ihrer Intuition leiten. Gleichzeitig befähigen sie ihre Patienten und Klienten, diese wichtige Fähigkeit ebenfalls zu nutzen.
Niemand kann in die Zukunft seines Kindes sehen. Es ist aber durchaus möglich, die Fähigkeiten seines Kindes, insbesondere die zu wenig ausgeprägten, ab dem Kindergartenalter im Auge zu behalten und nötigenfalls schon dann professionelle Hilfe zu suchen. „Erste Anzeichen, die auf eine Legasthenie hinweisen, sind früh zu sehen“, sagt Julia Buchmann, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). In der Praxis verhält es sich jedoch so, dass Legasthenie meist erst spät erkannt wird; oft sogar nur deshalb, weil die Kinder durch ihr Verhalten auffallen.
Kindliches Problemverhalten ist weit verbreitet. Das hat sich durch den Lockdown und die Veränderungen des Alltags durch das Corona-Virus in vielen Familien sehr deutlich gezeigt. „Beim Blick in die Familie interessiert uns Ergotherapeuten, wie das Verhalten des Kindes mit den Handlungen und Reaktionen der Eltern zusammenhängt – Ursache und Wirkung korrelieren immer“, sagt Magdalena Müller, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). Ihre Erfahrung zeigt: Das Verhalten beider lässt sich oftmals schon mit wenigen Veränderungen deutlich verbessern.
Es ist kennzeichnend für Ergotherapeuten, Anderen respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen. Denn so funktioniert beispielsweise eine der Domänen von Ergotherapeuten, die Inklusion. Die wiederum ist aus Sicht der Ergotherapeuten und ihres Verbandes, dem DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) nicht nur bei Menschen mit einer Behinderung nötig. Inklusion, die sich unter anderem durch das Gewähren von Teilhabe zeigt, gilt für alle Menschen unabhängig von deren Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, Alter, Einstellung und so weiter.
Wer Schwindel bei älteren Menschen verortet oder denkt, Schwindel sei selten, irrt. „Die Fakten belehren uns eines Besseren“, weiß die Ergotherapeutin Heike Christmann, DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). Schwindel geht durch alle Altersgruppen; mittlerweile sind erstaunlich viele junge Menschen betroffen. Oft wird Schwindel verkannt und verharmlost. Aus organisch bedingtem Schwindel entwickelt sich so in manchen Fällen ein funktioneller Schwindel. In jedem Fall ist es ratsam, am besten direkt zu einem erfahrenen Facharzt oder in die Schwindelambulanz zu gehen.
Schrittweise öffnen die Schulen wieder, doch von regulärem Schulbetrieb oder einer verlässlichen Betreuung für alle Kinder durch Kindergärten und andere Einrichtungen ist Deutschland noch weit entfernt. Die Lage in vielen Familien bleibt angespannt. „Aufmerksam und achtsam sein“, ist die Botschaft von Wolfgang Scheid, Ergotherapeut im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). Er ruft in Erinnerung, dass manche Kinder altersbedingt, aufgrund ihrer Persönlichkeit oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu artikulieren.
Die Kontaktsperre wegen der COVID-19-Pandemie hat viele Konsequenzen, unter denen die Menschen leiden. Umso mehr, wenn sie alleine sind mit ihrer Isolation, ihren eigenen Ängsten und der allgemeinen Unsicherheit. „Was bereits Gesunde schwer aushalten können, wirkt sich auf Menschen mit einem seelischen oder anderen gesundheitlichen Problemen deutlich schlimmer aus“, beschreiben Renate Kintea und Stephanie Meckes, DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) die Situation ihrer Patientinnen und Patienten. Die beiden Ergotherapeutinnen und ihr Praxisteam haben zügig begonnen, die Videotherapie in ihrer Praxis zu implementieren. Sie versorgen mittlerweile wieder die Mehrzahl ihrer Patientinnen und Patienten – dank ausreichend medizinischer Schutzkleidung und -maßnahmen zum Teil auch in ihrer Praxis.
Die Corona-Krise als Chance sehen – das gelingt nicht jedem. Wer existenzielle oder allgemeine Zukunftssorgen hat oder um die eigene Gesundheit fürchtet, kann sich schwer für neue Ideen oder positive Gedanken öffnen. So erleben zahlreiche Menschen die aktuelle Zeit vor allem als eine persönliche Krise. Sie können die Veränderungen und elementaren Einschnitte in den Alltag schwer oder gar nicht aushalten. „Je besser es gelingt, jeden Einzelnen mitzunehmen, desto erfolgreicher wird die Bewältigung der gesamten Krise gelingen“, findet Birthe Hucke, Vorstandsmitglied des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.).
Auch wenn die Kontaktsperre verlängert wurde: die teilweise Lockerung sorgt für einen Hauch von Normalisierung. Ein Anlass für viele, ihre persönliche Situation und weiteres Vorgehen zu überdenken. Insbesondere was die eigene Gesundheit – außerhalb der Infektionsgefahr mit dem Coronavirus – betrifft: Was ist nötig, was nicht? Vor dem Ausbruch von SARS CoV-2 hat niemand die Bedeutung einer ergotherapeutischen Intervention angezweifelt. Daran, dass eine solche vom Arzt verordnete Behandlung wichtig für den Gesundungsprozess ist, hat sich nichts geändert. Diese ist zum Wohl des Patienten durchzuführen. Das sieht auch der Gesetzgeber so und hat unter anderem jetzt zusätzlich zu anderen Maßnahmen auch die Arbeitszeitgesetze entsprechend angepasst und ausgedehnt.
Fachkräftebedarf, Novellierung der Berufsgesetze, Abschaffung der Schulgebühren, Modellklausel, Akademisierung, allem voran das Eckpunktepapier der Bund-Länder Arbeitsgruppe zum Gesamtkonzept der Gesundheitsfachberufe. Es waren die ganz großen Themen, die den Bildungsbereich der Heilmittelerbringer bis zur Coronakrise bewegten. Jetzt richtet sich der Fokus der Ausbildungsakteure auf das, was alle wissen wollen: die Frage nämlich wie es weitergeht. Wie können die Inhalte der Ausbildung sichergestellt und Prüfungen abgehalten werden? Bei den Berufsverbänden häufen sich die Nachfragen und die Bitte, sich für klare und möglichst einheitliche Regelungen einzusetzen.
Ärzten und Pflegern gehört derzeit der größte Dank der Öffentlichkeit. Zu Recht. Auf derselben Stufe in der medizinischen Bedeutung stehen weitere Berufe in diesem Bereich. Etwa die rund 60.000 systemrelevanten Ergotherapeuten in Deutschland – auch wenn man sie kaum im Rampenlicht sieht. Das kommt daher, dass sie selten in akuten, lebensbedrohlichen Situationen benötigt werden.
Zu den systemrelevanten Bereichen, die während der seit Mitte März geltenden Kontaktsperre ihre Leistungen weiter erbringen müssen und dürfen, gehören bestimmte, dringend erforderliche Gesundheitsberufe. So auch Ergotherapeuten. Die Ergotherapie-Praxen in Deutschland haben grundsätzlich geöffnet; eine flächendeckende Versorgung ist gewährleistet. Auch wenn die Verunsicherung bei vielen groß ist und nicht jeder selbst einschätzen kann, was im Einzelfall sinnvoll ist: Für Betroffene ist es fast ausnahmslos sehr wichtig, eine begonnene Behandlung fortzusetzen. Es gibt eine Vielzahl von Erkrankungen, bei denen bereits erzielte Erfolge durch Pausieren unwiederbringlich verloren gehen können, was weder im Sinne der Betroffenen, noch aus Sicht der Behandelnden wünschenswert ist.
Mit den durch das Coronavirus bedingten Einschränkungen und der Kontaktsperre seit Mitte März ist ein Wort in aller Munde: systemrelevant. Zu den systemrelevanten Berufen gehören bestimmte, dringend nötige Disziplinen des Gesundheitswesens wie Ergotherapeuten. Warum diese Berufsgruppe gerade jetzt eine so zentrale Bedeutung für die Menschen in Deutschland hat, bringt der Vorsitzende des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.), Andreas Pfeiffer, so auf den Punkt: „Ergotherapeuten fokussieren sich unter anderem auf den Alltag der Menschen. Dieser hat sich bei den meisten erdrutschartig verändert und nicht jeder kommt mit diesem schwerwiegenden Umbruch in seinem Leben zurecht.“
Für viele ist wegen der Restriktionen durch das Coronavirus die Arbeit weggebrochen, die Existenz bedroht. Wer sich durch die entstandene Leere, Ängste und Zweifel gelähmt fühlt, braucht vor allem eins: Verständnis und das Wiederbeleben seiner Bewältigungsstrategien, das Stärken der eigenen Resilienz. Ergotherapeuten erwerben in ihrer Ausbildung neben medizinischen Kenntnissen Wissen aus der Psychologie, Soziologie und Sozialwissenschaften. So können sie die Gefühls- und Lebenslage ihrer Patienten und Klienten sehr gut beurteilen und mithilfe der großen ergotherapeutischen Methodenvielfalt für und mit jedem Einzelnen einfühlsam den passenden Weg aus der Krise finden.
Rettungsschirm mit Ausfallzahlungen für die Heilmittelpraxen ist überfällig
ohne Rettungsschirm bleibt die Patientenversorgung auf der Strecke. Das kann keiner wollen!