Es kann wirklich jedem passieren: Ein Ereignis, das so gravierend ist, dass sich derjenige ausgeliefert, ohne Ausweg und dadurch handlungsunfähig fühlt. Das ist das Grunderleben einer traumatischen Situation. „Ein Trauma kann sehr unterschiedliche Auslöser haben“, erklärt Christine Spevak. Ein Autounfall, eine schwere Erkrankung oder ein Todesfall, aber auch wiederkehrende Situationen wie häusliche Gewalt, Missbrauch oder Mobbing können traumatisierend wirken. Manche Menschen verfügen über die nötige Resilienz und Bewältigungsstrategien, um ein Trauma aus eigenen Kräften zu überwinden. Manchen hilft etwa das Gespräch mit einem nahestehenden Menschen. Die Ergotherapeutin Spevak weiß, dass es aber viele Betroffene gibt, die nicht mit anderen über das Erlebte sprechen oder um Hilfe bitten können. „Nehmen Sie Kinder, die missbraucht werden. Die Lage ist aus ihrer Sicht ausweglos: Der Täter setzt sie unter Druck, suggeriert, dass ihnen keiner glauben wird oder sie schuld sind an dem, was ihnen widerfährt. Mobbingopfern geht es ähnlich: Auch sie empfinden sich handlungsunfähig, selbst wenn sie erwachsen sind. Sie schweigen aus Scham, können sich selbst und anderen noch weniger eingestehen, dass sie sich ausgeliefert fühlen und außerstande sind, sich aus ihrem Dilemma zu befreien“, offenbart die Spezialistin, in welchem Seelenzustand sich ihre Patienten befinden.
Verändertes Verhalten
Das Ziel traumatisierter Menschen ist, sich den schlimmen Erlebnissen oder Triggern, also angstauslösenden Faktoren wie Gerüchen, Geräuschen oder Stimmen, die sie mit den traumatisierenden Situationen und Menschen verbinden, nicht wieder aussetzen zu müssen. In der Folge ziehen sie sich zurück, meiden bestimmte Aktivitäten, sogar solche, die ihnen wichtig sind. Wird ein Kind in der Schule gemobbt, wird es versuchen, dem Unterricht so oft als möglich fern zu bleiben. Oder dem Sportverein, findet die Ausgrenzung dort statt. Abhängig vom Alter des Kindes führen Eltern ein solches Verhalten eher auf die Pubertät oder eine andere Entwicklungsphase zurück; daran, dass sich etwas Schlimmes, Einschneidendes ereignet haben könnte, denken die wenigsten. Stellen Eltern jedoch fest, dass ihr Kind zusätzlich zu seinem veränderten Verhalten seine Gefühle nicht mehr zeigt und ausspricht oder schnell überreagiert, kann ein Trauma der Grund sein. Bei erwachsenen Personen können die Menschen im Umfeld ähnliche Veränderungen feststellen. Oder die Betroffenen bei sich selbst. Mobbingopfer gehen vielleicht nicht mehr einkaufen, weil sie dort einem Geschäftskollegen begegnen könnten. Oder sie vermeiden andere Freizeitaktivitäten, um Triggern aus dem Weg zu gehen. Solche Verhaltensweisen sind alarmierend und es ist davon auszugehen, dass das Trauma nicht verarbeitet ist. Zeit, professionelle Hilfe zu suchen.
Status quo analysieren
Ergotherapeuten wie Christine Spevak analysieren zunächst den seelischen Zustand und die Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit ihres Klienten durch Befragen und Beobachten. Die Ergotherapeutin hat maßgeblich an der Übersetzung des kanadischen Programms ‚Posttraumatische Belastungsstörung – Ergänzungsmaterial zu Handeln ermöglichen‘ mitgearbeitet. Fragen und Arbeitsmaterialien aus diesem Programm setzt sie bei ihren Interventionen ebenso ein wie weitere ergotherapeutische Methoden und Herangehensweisen. Ergotherapeuten fokussieren sich auf den Alltag und darauf, ihre Klienten wieder handlungsfähig zu machen. Nach der ersten Befunderhebung lässt Spevak daher ihre Klienten eine leichte Tätigkeit, beispielsweise eine handwerkliche Arbeit oder eine Alltagshandlung wie Kochen, ausführen. Etwas, was demjenigen liegt. So sieht sie, wo derjenige ein Problem bei einer Handlung hat: Beginnt er zügig? Oder traut er sich nicht, anzufangen? Lässt er sich bei der Ausführung schnell irritieren und verunsichern? Wie verhält er sich, wenn etwas nicht gleich klappt oder wenn etwas danebengeht: Bricht er die Handlung ab? Oder versucht er generell, auch wenn ihm Fehler unterlaufen, das Beste daraus zu machen? Ist er lösungsorientiert oder bricht für ihn die Welt zusammen, wenn er etwas nicht schafft? Aus diesen Mustern erkennen Ergotherapeuten, wo sie ansetzen können. Denn es geht darum, die Selbstwirksamkeit traumatisierter Menschen zu fördern. Sie sollen sich selbst wieder als handlungsfähig erleben – die Umkehrung dessen, was sie im Trauma ertragen mussten. So, dass sie wieder zu sich selbst finden, ihre Ängste und dadurch das Trauma überwinden lernen.
Umfeld aktivieren
„Auch für Angehörige und Partner, die mit einem traumatisierten Menschen zusammenleben, ist die Situation schwierig und belastend“, verdeutlicht die Ergotherapeutin die Auswirkungen auf das Umfeld, das Ergotherapeuten deshalb einbeziehen. Vor allem klären sie auf. Das ist wichtig, denn wer weiß, dass sich der Andere zurückzieht, weil Vermeidungsverhalten ein Symptom des Traumas ist, kann ganz anders mit ihm und seinen nicht ausgesprochenen Ängsten umgehen. Nämlich verständnisvoll und wertschätzend, aber eben zielgerichtet und mit der Sicherheit, das Richtige zu tun, um die Heilung zu unterstützen und zu fördern. Dazu gehört, das Vermeidungsverhalten aufzuweichen. Meist geht die Familie mit in den Rückzug. Daher mobilisieren Ergotherapeuten alle, die Familienaktivitäten wieder aufzunehmen und zwar so, dass das Traumaopfer teilhaben kann. Also in seinem eigenen Tempo und an seine derzeitigen Möglichkeiten angepasst. Individuell erarbeiten Ergotherapeuten gemeinsam mit allen und jeweils am aktuellen Stand der Behandlung orientiert, was machbar ist und wo die Grenzen der Belastbarkeit sind. So empfinden sich alle wieder als zusammengeschweißt und auch im Team als handlungsfähig.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeuten vor Ort; Ergotherapeuten in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.