Ergotherapeutisches betätigungsfokussiertes Assessment: Top-Themen herausfinden
Das grundsätzliche Ziel einer ergotherapeutischen Intervention ist die Verbesserung des Alltags der Patient:innen. Dieser ist insbesondere bei einer Verletzung oder nach einer Operation der Hand oft massiv oder lange eingeschränkt. Um als Erstes für sich und für ihre Patient:innen Klarheit zum Status quo zu schaffen, nutzen Ergotherapeut:innen sogenannte Assessments. Das sind ausgeklügelte, ins Detail gehende Fragen zur systematischen Erfassung und Bewertung, beispielsweise mithilfe von Skalen. Die Ergotherapeut:innen der Praxis, in der Jessica Kleinschulte arbeitet, haben ein eigenes, betätigungsfokussiertes Assessment für die Behandlung der Hand ausgearbeitet. Einen Teil dieses ausführlichen Fragebogens nehmen die Patient:innen mit nachhause und beantworten die Fragen dort. Mit dem Effekt, dass sie sich sehr genau mit den einzelnen Betätigungen und Handlungsabläufen befassen und dadurch weitere, für die Therapie wichtige Erkenntnisse gewinnen. Es geht um sich wiederholende Tätigkeiten im Alltag wie Zähneputzen, Haare waschen, Föhnen und vieles mehr und darum, ob dies schmerzfrei gelingt, nur mit Hilfe möglich ist oder noch gar nicht klappt. Die Antworten haben einen Einfluss auf die Gestaltung der Intervention. Die Ergotherapeutin führt dazu aus, dass für unterschiedliche Tätigkeiten sowohl unterschiedlicher Kraftaufwand als auch verschiedene Grifftechniken nötig sind. Das leuchtet ein und erklärt, warum die Fragen, die den Beruf betreffen, so wichtig sind. Menschen, die im Büro, am PC oder am Telefon arbeiten, beanspruchen und belasten ihre Hände und Finger völlig anders, als etwa ein LKW-Fahrer, der seinen Brummi im Griff haben muss oder Transportgut zu be- und entladen hat.
Die Motivation befeuern: Ergotherapeut:innen loben und messen kontinuierlich
Mithilfe dieser eingehenden Befragungen kristallisiert sich zudem heraus, welches die für die Betroffenen wichtigsten Themen sind, die sie mit ihrer Ergotherapeutin oder ihrem Ergotherapeuten angehen wollen. Ist dieser theoretische Teil, das Befragen, abgeschlossen, gehen Ergotherapeut:innen häufig zu einer weiteren, probaten Form des Assessments über: als neutrale(r) Beobachter:in finden sie heraus, mit welcher Sicherheit, Effizienz, Anstrengung und Selbstständigkeit der beziehungsweise die Betroffene bestimmte Tätigkeiten verrichtet oder an welcher Stelle der Handlung sich Schwierigkeiten zeigen und vieles mehr. Diese Überprüfung wiederholen sie regelmäßig. Ebenso wie Kraftmessungen. Die Resultate der Tests setzen sie motivierend ein. Sie spiegeln und loben, was schon klappt. Das ist ebenso wichtig, wie die regelmäßigen Messungen, um das Gesagte zu untermauern und selbst kleine Fortschritte zu zeigen. Mithilfe der Messergebnissen gelingt es leichter, eventuelle Zweifel auszuräumen, denn Zahlen sprechen für sich und helfen, die Motivation der Patient:innen zu befeuern. Ein zentraler Aspekt bei den oft langwierigen Heilungsprozessen an Hand und Fingern. „Wenn möglich, zeichnen wir mit einer Videokamera die Bewegungs- und Handlungsabläufe auf“, weist Kleinschulte auf eine zeitgemäße Vorgehensweise hin, erklärt jedoch im selben Atemzug, dass Betroffene häufig mit der Krankheitsverarbeitung hinterherhinken. Sie können keine Videoaufzeichnungen anschauen, die sie mit einer gelähmten, versehrten oder amputierten Hand zeigten.
An einem Strang ziehen: Austausch mit Handchirurg:innen und anderen Disziplinen
Doch gibt es Ausnahmen. Die Ergotherapeutin berichtet in diesem Zusammenhang von einem neunjährigen Jungen, der eine Hand durch einen fehlgezündeten Feuerwerkskörper verloren hatte und bei der Ergotherapeutin den Umgang mit der Prothese erlernte. „Ich habe ihn immer wieder gefilmt, er hat kontrolliert, wie er die Bewegungen mit der Prothese umsetzt und so gelang es ihm, die Bewegungsabläufe mithilfe der Videoaufzeichnungen sehr sachlich zu beurteilen und neue Ideen zu entwickeln, wie er geschickter vorgehen kann“, veranschaulicht die Ergotherapeutin, wie der Junge die von ihm angestrebten Tätigkeiten laufend und kontinuierlich geübt und optimiert hat. So lange, bis selbstständig Jacke anziehen, Kleidung auf- und zuknöpfen oder Reißverschlüsse ohne Hilfe schließen aus seiner Sicht schnell genug funktionierte. Parallel hierzu war die Ergotherapeutin in engmaschigem Austausch mit dem Handchirurgen. So blieb gewährleistet, dass es zu keiner Überforderung oder Überbelastung kam. Ebenfalls von Anfang an eingebunden: Der Prothesenbauer, der die Prothese mithilfe der Informationen stets anpassen und verbessern konnte. Durch die konsequente Zusammenarbeit aller involvierten Expert:innen und vor allem durch sein unermüdliches Training erreichte der Junge zusätzlich zu allen anderen Zielen sein wichtigstes Anliegen, wieder Mountainbike fahren zu können, in kürzester Zeit: in weniger als einem Jahr nach dem Unfall ist er Herr seiner Prothese und seines Alltags.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche
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