Ergotherapeut:innen kennen sich gut aus, wenn es darum geht, gemeinsam mit ihren Patient:innen und Klient:innen deren festgefahrene Gewohnheiten zu analysieren, blockierende oder schädliche Muster zu enttarnen und zu transformieren. Dazu werden zunächst tägliche Routinen hinterfragt, kritisch beleuchtet und am Ende Veränderungen sukzessive in den Alltag integriert. Kann das, was im Praxisalltag mit Patient:innen und Klient:innen funktioniert, auch für Behandler:innen, sprich die Praxismitarbeiter:innen gelingen, wenn es um Klimaneutralität geht? Und vor allem: lässt sich nach der möglichst kollektiven Erkenntnis und Zustimmung eine ebenfalls kollektive, nachhaltige Verhaltensänderung herbeiführen?
Ergotherapeutischen Prinzipien folgen: Ins Handeln kommen
Einer, der sich mitsamt seiner Praxis auf den Weg gemacht hat, Verhaltensänderungen im beruflichen Alltag umzusetzen, um dadurch klimaschädliche Faktoren und Verhaltensweisen zu reduzieren oder auszumerzen, ist Andreas Bohmann. Der Ergotherapeut, der auch im Praxisalltag großen Wert auf demokratisches Verhalten legt, erklärt: „Mir ist wichtig, alle mitzunehmen und auch die, die (noch) nicht fürs Klima brennen, zu interessieren und wenn möglich zu begeistern“. Wissend, dass der Erfolg von der Akzeptanz der Mitarbeiter:innen abhängt, hat er zunächst nach Gleichgesinnten gefragt und eine Gruppe aus Ergotherapeut:innen gebildet, für die Klimaneutralität bereits eine Herzensangelegenheit ist. Ein zweitägiger Workshop läutet die neue Ära in der Praxis ein. Diesen begleiten ebenso wie den gesamten Change-Prozess zwei Coaches. Erstes Highlight an Tag eins: die Eröffnungsrede einer bei KLUG e.V., der deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, arbeitenden Ärztin. Mit Verve starten die professionell angefeuerten Ergotherapeut:innen ihre Suche nach den Dingen in der Praxis, die den größten Fußabdruck verursachen, und bilden themenorientierte Teams zu „Energie“, „Mobilität“ und „Einkauf & Praxis“
Energie sparen: Energiefresser auf Sparflamme schalten
„Jedes Unternehmen und jede Praxis hat ihre Eigenheiten, ihre eigenen Energiefresser; auch weisen die Inhaber:innen und die Angestellten persönliche Verhaltensweisen auf, die auf Unwissen und Gewohnheit beruhen“, sagt der Ergotherapeut Bohmann und betont, wie wichtig es ist, die individuelle Situation an jeder Stelle zu beleuchten. So nimmt das Energie-Team jedes noch so kleine Detail in Augenschein und prüft: ist die Beleuchtung stringent mit Energiespar-Lampen bestückt? Sind die vorhandenen Schaltuhren passend eingestellt? Wer kümmert sich um die Heizung oder läuft sie nachts und am Wochenende weiter auf Hochtouren und wo sind welche Thermostate hilfreich? Sind Wasch- und Spülmaschine auch wirklich optimal und voll beladen, wenn sie laufen? Ein weiterer Posten auf ihrer Liste: Sind alle Geräte mit Akkus statt Batterien ausgestattet und die mit Netzbetrieb aus der Stromversorgung genommen – sprich: Stecker raus, auch aus der Steckdose – statt im Standby-Modus? Über solche allgemeinen, oft bekannten Optionen zum Schonen von Ressourcen finden sich oft noch versteckte ‚Stromzieher‘. In ergotherapeutischen Praxen können das beispielsweise Paraffinbäder sein, die vier Stunden aufheizen müssen, bevor sie nutzbar sind. Neben genau programmierten Zeitschaltuhren gibt es auch die Möglichkeit, Termine so zu clustern, dass das Paraffinbad durchgehend belegt ist – möglicherweise auch nur für ein bestimmtes Zeitfenster pro Tag.
Klimafreundliche Mobilität: eine Sache der Überzeugung
An mindestens drei Tagen in der Woche sind die Mitarbeiter:innen der Praxis Bohmann zu Hausbesuchen unterwegs. Hausbesuche sind Schwerpunkte in der Praxis; viele werden bereits mit dem E-Bike gemacht. Das genügt den Klimafreund:innen jedoch nicht. Das Team ‚Mobilität‘ hat noch andere Einfälle: Termine so vergeben, dass die Touren noch effizienter werden, deutlich mehr Strecken mit dem (Dienst-)E-Bike zurücklegen, lediglich die weiter entfernten Stadtteile oder – auch das ist in vielen Städten noch ein Problem – für Radfahrer:innen gefährliche Strecken mit dem Auto anfahren. Für Bohmann steht fest: „Die Dienstfahrzeuge weiter reduzieren und keine weiteren Verbrenner mehr anschaffen ist das Eine, Fahrradfahren fördern ist der nächste Schritt“. Das möchte der Ergotherapeut durch Wettbewerbe, Fahrradleasing Modelle, bessere Vernetzung und Ausstattung der Fahrradfahrenden, Unterstützung von Mitarbeiter:innen, die vom Auto aufs Zweirad umsteigen, vorantreiben. Der passionierte Pedalist hofft, dass die Kommunen die Radwege zeitnah weiter ausbauen. Seiner Meinung nach ist das eine Voraussetzung, damit Menschen das Fahrrad generell bevorzugen – nicht etwa, weil es die Notlösung ist, um den dichten, innerstädtischen Autoverkehr zu vermeiden und die Parknot zu umgehen. Bohmann erwartet schon mit Spannung die erste Abrechnung, denn die Zahlen in den Fahrtenbüchern geben Auskunft, wie die Bilanz der mit dem Auto gefahrenen Kilometer im ersten Jahr der Mission ‚Klimaneutral werden‘ gegenüber dem Vorjahr aussieht.
Einkauf und Praxis: da geht noch was
„Die Frage nach dem ob, was und wo ist in puncto Einkauf ausschlaggebend“, stellt der Ergotherapeut Bohmann fest. Die Mitarbeiter:innen, die sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen, arbeiten Rahmenbedingungen für die dafür zuständigen Rezeptionist:innen aus. Einige der Punkte auf ihrer Agenda: Nur noch nachhaltige Anbieter bei Büromaterial und Arbeitskleidung, ausschließlich Recyclingpapier, große Packungseinheiten – vorzugsweise mit Papierverpackung, als Suchmaschine ‚Ecosia‘ vorschalten, tintensparende Schriften wie Garamond & Co. einstellen, Fair-trade-Kaffee kaufen, prüfen, ob ein Gerät repariert, statt ersetzt werden kann. Wer darüber hinaus nach weiteren Möglichkeiten und Anregungen zum Thema ‚Klimaneutralität‘ sucht, stößt bei seinen Recherchen schnell auf KLUG oder andere Aktionsbündnisse im Gesundheitswesen. Andreas Bohmann dazu: „Über KLUG bin ich auf Health for Future gestoßen. Dort wiederum habe ich eine Untergruppe kennengelernt, die sich aus Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen und Physios zusammensetzt, die Interessierten speziellen, berufsspezifischen Input gibt.“
Ressourcen schonen: fürs Klima, nicht des Geld wegen
Dem Einfallsreichtum derer, die sich mit Verbesserungsvorschlägen für besseres Klima auseinandersetzen, ist keine Grenze gesetzt. Auch, wenn es darum geht, wie das gesparte Geld anderweitig einzusetzen ist, sind viele Wege gut und sinnvoll. Dem Ergotherapeuten Bohmann liegt vor allem daran, sein Team zu überzeugen und mitzureißen – fürs Klima, nicht für den eigenen Geldbeutel. Abschließend fasst er zusammen: „Das Wichtigste ist, ins Handeln zu kommen und die Veränderung, den Change, einzuläuten. Das Umsetzen erfolgt sukzessive. Dabei zählt jeder noch so kleine Erfolg, was die innere Motivation eines jeden Menschen fördert, weiterzumachen, mit Gewohnheiten zu brechen und sich bewusst zu sein, dass jede Handlung klimafreundlich oder klimaschädlich sein kann“.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche. Die genannten Aktionsbündnisse: https://www.klimawandel-gesundheit.de/ und https://healthforfuture.de/
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