Es ist eine Maxime von Ergotherapeut:innen, nicht indikations- oder krankheitsbezogen, sondern lösungsorientiert zu denken und zu (be-)handeln Diesem Ansatz folgend, haben Carina Himmelbauer und Judith Gassner als Teil ihrer Bachelorarbeit zum Thema Langzeitfolgen nach Corona Proband:innen mit Post COVID eine App nutzen lassen, die für Krebserkrankte mit Fatigue gedacht ist. Mit wenigen Adaptionen oder genauer gesagt, dem gezielten Weglassen der Elemente, die sich um die Krebserkrankung drehen, lernten die Versuchspersonen mithilfe der restlichen Elemente der App „Untire – Erschöpfung und Krebs“ ihre Energieprobleme zuzuordnen und ihr Energiemanagement besser auszusteuern.
Energie und Glück ins Verhältnis setzen
Post COVID ist ein uneinheitliches, schwer zu umreißendes Krankheitsbild mit sehr unterschiedlichen körperlichen und/ oder psychischen Symptomen. Ebenso ist die Dauer der Erkrankung individuell unterschiedlich. Das alles wirkt sich auf die bis heute unzureichenden Behandlungsoptionen aus. Das Dilemma, bestenfalls einzelne Symptome behandeln zu können, lässt sich nicht mithilfe der genannten App lösen. Jedoch, so das einhellige Resümee der Versuchspersonen, konnten sie auf diesem Weg ihren Energiehaushalt immer besser aussteuern und deutlich verbessern. „Der Alltag fühlt sich zunehmend leichter an,“ bringt die Ergotherapeutin Himmelbauer den Effekt auf den Punkt. Wie gelingt das? „Betroffene nehmen häufig nur das Symptom Erschöpfung wahr und führen ihre Schwierigkeiten auf Post COVID zurück“ berichtet die Ergotherapeutin. Mithilfe der App Untire lässt sich das Ganze jedoch filtern, den jeweiligen Ursachen zuordnen und differenzieren.
Glück steigern und Energiefresser eindämmen
Um herauszufinden, wer und was Energie zieht, findet gleich beim Start der App eine Energiemessung statt. Diese poppt wöchentlich auf und zeigt somit jeweils eine Tendenz. Die Anwender:innen können dann entweder gegensteuern oder die eingeschlagene Richtung weiterverfolgen. Das Besondere dieser App: Es werden die Faktoren abgefragt, die für das jeweils aktuelle Energielevel bestimmen. Die vorhandene Energie wird in Relation zum Glücksniveau gesetzt. „Ein Marathonläufer kann zu 100% erschöpft und gleichzeitig zu 100% glücklich sein“, führt Himmelbauer aus und erklärt dadurch das Prinzip sehr bildhaft. Einen ganz anderen Einfluss auf das Gefühlsleben hat es hingegen, wenn Menschen zwar über sehr viel Energie verfügen, aber dennoch unglücklich sind oder sogar wenig Energie und ein niedriges Glückslevel angezeigt bekommen. Das Ziel in diesem Fall: mehr glückliche Momente, Begegnungen und Erlebnisse. Der Weg dahin wird durch die weiteren Fragen im Teil Energiemessung mit der App aufgezeigt. Hierzu gibt es Fragen und Vorschläge dazu, was den Betroffenen Energie gegeben und was ihnen Energie entzogen hat und ebenso welche Faktoren die Glückspeicher füllen. Das können außer Aktivitäten Menschen sein, die einem gut tun oder eben nicht. Bereits an dieser Stelle haben viele das erste Aha-Erlebnis und es werden eine „Marschrichtung“ und Zielsetzungen für die Folgewoche klar. Haben Menschen mit Post COVID etwa zu viel Negatives oder Energiefresser zugelassen, formulieren sich die Ziele quasi von selbst. Wer nichts Passendes in den Vorschlägen, die in der App unterbreitet werden findet, kann eigene Ziele nennen.
Für eine bessere Energiebilanz: Gedanken neu ausrichten
Es ist ein für Ergotherapeut:innen übliches Vorgehen, den Blick und die Gedanken weg von der Erkrankung und hin zu Positivem zu lenken. Dieses Prinzip findet sich bei Untire wieder. Sowohl motivierende Elemente wie „Tipp des Tages“, „Entspannung“, die jeden Tag mit bis zu zwanzig Minuten angesetzt sind, aber auch „Bewegung“ sind Themen, die an Post COVID Erkrankte durch das Nutzen der App in ihren Alltag integrieren. Das Thema „Bewegung“ bedarf allerdings der sehr genauen und sensiblen Anleitung durch Ergotherapeut:innen. Zunächst muss der Ergotherapeut beziehungsweise die Ergotherapeutin beurteilen: Ist der Mensch mit Post COVID bereits körperlich und geistig bereit, sich auf Bewegung einzulassen? Oder gehört Bewegung ohnehin zum Leben dieser Person und ist sie in der Lage, noch mehr Bewegung zuzulassen? Menschen mit Fatigue durch Post COVID dürfen sich nicht überfordern oder über die Maßen anzustrengen. Wer zu viel körperliche Energie einsetzt, kann sich ansonsten ein Energiedefizit einhandeln; das Erschöpfungslevel nimmt zu statt ab.
Post COVID differenziert betrachten lernen, mehr Raum für Positives schaffen
Das Resümee der Ergotherapeutinnen und der Probanden und Probandinnen mit Post COVID ist einhellig. Die in der App angestoßenen, mit der Ergotherapeutin besprochenen Reflexionen und das Auseinandersetzen mit sämtlichen Faktoren, die den eigenen Alltag ausmachen und beeinflussen, führen zu Erkenntnissen und einer Klarheit, die sich auf den Umgang mit Post COVID auswirkt. Die Testpersonen realisieren, dass die Erschöpfungszustände zwar vor allem, aber nicht vollständig auf die Erkrankung zurückzuführen sind. Das Nutzen der App als Teil der ergotherapeutischen Intervention ermöglicht ihnen die emotionale Kontrolle über die Krankheit. Das Krankheitserleben verbessert sich.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche