Die zuletzt von einschlägigen Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder dem deutschen Robert-Koch-Institut veröffentlichten Zahlen zeigen, dass die Zahl der neu erkannten Krebsfälle weiter steigt. Trotz verbesserter Therapiemöglichkeiten und Erfolge bei der Behandlung hat die Diagnose „Krebs“ ihren Schrecken nicht verloren. Ganz wesentlich sind daher neben der eigentlichen Behandlung des Tumors die Nachsorge und Nachbetreuung, die die Krebspatienten befähigen, ein möglichst normales Leben „danach“ zu führen. Eine bedeutende Rolle hierbei spielt die Ergotherapie. Die Ergotherapeutin Anja Müller leitet die Arbeitsgruppe Onkologie des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) und arbeitet in einer Reha-Klinik mit Krebspatienten. Sie berichtet über ihre Erfahrungen und Erfolge.
Es sind in aller Regel die Nebenwirkungen von Chemotherapie und Bestrahlung, die den an Krebs erkrankten Menschen weiterhin Probleme bereiten. Am häufigsten – weil sie es direkt selbst feststellen – kommen die Patienten mit Sensibilitätsstörungen zu Anja Müller in die Ergotherapie. Kribbeln in den Füßen oder in den Fingerspitzen oder sogar Taubheitsgefühl: Solche Beschwerden sind nicht nur unangenehm sondern tragen auch dazu bei, dass die Menschen ständig an das Schlimme, das sie gerade erlebt haben, erinnert werden. „Es ist eine der vielen Disziplinen der Ergotherapie, Störungen der Sensorik zu behandeln. Denn die beinträchtigen die Menschen auch oft im Alltag; weil sie nicht mehr richtig greifen und halten können oder weil sich die die Dinge nicht mehr richtig anfühlen Dafür setzen wir unterschiedliche Medien und Materialien ein, je nach Interessenslage des Einzelnen und nach Schweregrad der Problematik.“, legt die erfahrene Ergotherapeutin ihre Vorgehensweise dar. Der Phantasie von Patient und Ergotherapeut sind dabei wenig Grenzen gesetzt. Die Ergotherapie hält verschiedene Behandlungsmöglichkeiten wie das sogenannte Sensibilitätsbad und weitere Maßnahme zum Trainieren des Tastsinns und Verbessern der Fingermuskulatur bereit. Maßgeblich ist für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten wie Frau Müller immer, dass die Patienten sich damit wohl fühlen. Und das ist schon der halbe Weg zum Erfolg.
Ergotherapie blickt über den Tellerrand
Bei der Befunderhebung, die sich beispielsweise aus einer Kraftmessung und sehr detailliertem Begutachten der sensorischen Probleme zusammensetzt, stellt Anja Müller häufig auch Hirnleistungsstörungen bei ihren Patienten fest. Amerikanische Forscher weisen auf Veränderungen im Gehirn nach der Chemotherapie hin. Ob dies die tatsächliche Ursache ist wird noch kontrovers diskutiert. Was jedoch nicht abzustreiten ist, sind die kognitiven Probleme, unter denen Patienten nach einer Krebsbehandlung oftmals leiden. Auch hierfür setzen Ergotherapeuten hervorragende und zielführende Behandlungsoptionen ein. Anja Müller veranschaulicht das so: „Um die Konzentrationsfähigkeit, räumliches Denken und die Kombinationsgabe wieder zu aktivieren und zu stärken, biete ich meinen Patientinnen und Patienten beispielsweise mathematische Gedulds- und Knobelspiele wie ‚Türme von Hanoi‘ oder den ‚Flex Puzzler‘ an. Oder ich kreiere Textaufgaben.“ Letztere gestaltet sie alltags- und patientenzentriert. Heißt, es geht dabei um das Planen von Tagesstrukturen oder um Themen, die für die Arbeitswelt relevant sind. Also auch für diejenigen, die zunächst bei dem Wort „Textaufgabe“ zurückschrecken, ein durchaus machbarer, realitätsbezogener und dadurch probater Weg, um die kognitiven Fähigkeiten wieder in Schwung zu bringen. „Das Schöne dabei ist“, so die in diesem Bereich spezialisierte Ergotherapeutin „dass meine Patienten über das Spielerische vergessen, dass sie üben und ihre Defizite ausgleichen.“
Ergotherapeuten motivieren und fördern
Denn in der Ergotherapie geht es bewusst darum, die Patienten nicht an ihren Schwächen zu messen, sondern über die Fähigkeiten und Stärken anzusetzen, also immer im Positiven und in der Motivation zu bleiben. Und davon benötigen gerade Krebspatienten ganz besonders viel. Denn bei manchen werden bestimmte Störungen, teils auch Schmerzen mehr oder weniger stark bleiben. Dennoch gelingt es auch diesen Menschen, sich mit den Folgen Ihrer Erkrankung zu arrangieren. Häufig hört Anja Müller von Patienten aus der Onkologie, die sie über mehrere Jahre hinweg immer wieder bei Reha-Aufenthalten erneut trifft: „Ich komme inzwischen im Alltag gut zurecht und das eben auch dank der ergotherapeutischen Strategien, die ich hier erlernt habe.“ Damit beschreiben sie die zentralen Ziele in der Ergotherapie: Die Patienten fit für den Alltag machen und ihnen dadurch Lebensqualität schenken.
Informationsmaterial erhalten Interessierte bei den Ergotherapeuten des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten e.V. (DVE). Diese sind über die Therapeutensuche zu finden.
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