Die ADHS-Forschung hat noch Potenzial – in puncto Entstehung ebenso wie in Hinblick auf die optimale Behandlung dieses Krankheitsbildes. Medikamente sind insbesondere deshalb unerlässlich, weil sich dadurch beispielsweise in besonders schweren Fällen nur so ein Status der Therapierbarkeit herbeiführen lässt. Eine Vielzahl der Betroffenen bevorzugt die empfohlenen Therapiemöglichkeiten, allen voran die Ergotherapie. „Der größte Leidensdruck entsteht für die meisten durch das Chaos in ihrem Alltag und die immer wiederkehrenden Misserfolge.“, erklärt Lisa Geuecke, Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). Und genau da setzt die Ergotherapie mit ihrer Methodenvielfalt an: Ergotherapeuten bringen Struktur und Ordnung in das Leben von Erwachsenen mit ADHS und vermitteln ihnen Kompensationsstrategien.
Kreativität, Hilfsbereitschaft, eine soziale Einstellung und Neugierde. Solch überaus positive Eigenschaften finden sich oft bei Erwachsenen mit ADHS. Die Kehrseite der Medaille: Sie verzetteln sich gerne, verspüren oft eine innere Unruhe, sind in vielen Bereichen unstrukturiert, lassen sich leicht ablenken oder haben ihre Zeitplanung einfach nicht im Griff. So erleben viele Erwachsene ihren Alltag, stellen fest, dass es einfach nicht funktioniert und wissen gar nicht, dass sie ADHS haben. Aber: Sie haben ADHS nicht erst als Erwachsene bekommen. „Der Schlüssel liegt in der Kindheit und Jugend.“, bestätigt die Ergotherapeutin Lisa Geuecke, was die Betroffenen beim Blick zurück oftmals selbst feststellen oder zum Teil auch ahnen. Weiter erklärt sie: „Die erwachsenen Betroffenen beantworten für die Diagnose beim Arzt vielschichtige Fragebogen und auch ihre Eltern werden zur Klärung herangezogen.“ Hat derjenige oft die Schule gewechselt, hat er schlecht oder gar nicht gelernt, wie war die Konzentrationsfähigkeit in der Schule? Solche und weitere Fragen sowie Untersuchungen helfen dem Arzt, eine gesicherte Diagnose zu treffen. Stellt er anhand seiner gründlichen Analyse tatsächlich ADHS fest, ist Ergotherapie eine der empfohlenen, zeitgemäßen Behandlungsoptionen, je nach Schweregrad begleitet von einer medikamentösen und möglicherweise auch psychotherapeutischen Behandlung.
ADHS macht, dass Erwachsene chaotisch wirken
Lisa Geuecke hat in der Ergotherapie-Praxis, in der sie arbeitet, schon viele Erwachsene mit ADHS unterschiedlichster Ausprägung behandelt – angefangen von Studenten bis hin zu Menschen im Rentenalter. Im Dialog findet sie zunächst heraus, in welchen Bereichen die größten Probleme bestehen, die Ihre Klienten mit ADHS im täglichen Leben förmlich ausbremsen. Das stellt sich bei jedem anders dar, ist abhängig von der Lebenssituation. Beim Einen gibt es Schwierigkeiten an der Uni, weil er sich während der Vorlesungen leicht ablenken lässt, Geräusche um sich herum nicht ausblenden und sich nicht fokussieren kann. Andere hingegen schaffen es nicht, ihren Tag oder einzelne Tätigkeiten, wie Lernen, Haushalt und andere Aufgaben zu strukturieren. Oder sie sind so vergesslich, dass ihnen die unglaublichsten Dinge passieren. Vielen fehlt die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, Termine einzuhalten oder pünktlich zu sein. Bei leicht Betroffenen sind es manchmal nur ein oder zwei Bereiche, in welchen sie nicht zurechtkommen.
Ergotherapie hilft bei der Spurensuche
Ergotherapeuten wie Frau Geuecke fungieren als Coach und finden gemeinsam mit ihren Klienten im Einzelgespräch heraus, was für sie gerade am wichtigsten ist. Sie definieren zusammen die Ziele, die die behandelten Personen erreichen wollen. Und schließlich münden diese in Wochen- oder Tagesplänen. In der Gruppentherapie lernen und trainieren von ADHS Betroffene unter anderem Konzentrationsstrategien. Und sie lernen auch von den anderen Teilnehmern. Zum Beispiel, dass viele von ihnen sich ebenfalls „wie ein Außerirdischer“ fühlen, so völlig anders als die Menschen um sie herum. Der Austausch mit Leidensgenossen bringt ADHS-Patienten in vielerlei Hinsicht weiter und stärkt sie.
Mit ergotherapeutischen Strategien den Alltag bewältigen
Leidet ein Erwachsener an ADHS, so hat das immer auch Folgen für eine Ehe oder Partnerschaft. Partner werden deshalb bei Bedarf mit in die Therapie einbezogen. Ergotherapeuten klären Personen aus dem direkten Umfeld ebenso wie ihre Klienten selbst über die Erkrankung und deren Auswirkungen auf. Das hilft, besser damit umzugehen, mehr Verständnis zu entwickeln. Außerdem spielt der Partner eine Rolle bei der Umsetzung der gesteckten Ziele und Pläne. Denn ADHS-Patienten müssen sich extrem anstrengen, können sich nur schwer selbst disziplinieren. Das liegt an der Dysregulation, unter der sie leiden. Experten sprechen von einer Transmitterstörung im Gehirn, die daran schuld ist, dass alle Reize ungefiltert einströmen. Und darauf reagieren die Menschen mit ADHS, zeigen eine geringe Frustrationstoleranz, sind impulsiv und „explodieren“ leicht. Ergotherapeuten vermitteln ihren Klienten entsprechende Kompensations- und weitere Strategien, üben mit ihnen, diese so einzusetzen, dass sie die Schwierigkeiten, die sie im Alltag haben, abbauen können und effektiver werden.
Die positiven Aspekte hervorheben
Eines der wichtigen Prinzipien der Ergotherapie ist es, auf die Fähigkeiten der Klienten zu schauen – in diesem Fall insbesondere auf die neu erarbeiteten Fähigkeiten –, bereits kleine Erfolge zu sehen und zu honorieren. Daher ist ein Belohnungssystem auch bei Erwachsenen Bestandteil der ergotherapeutischen Behandlung von ADHS. Wer denkt, das sei banal, etwas für den Umgang mit Kindern, der irrt. Denn die in der täglichen Praxis belegten Erfolge zeigen den positiven Effekt dieser Vorgehensweise. Und den Grundstein für weitere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet hat die Ergotherapeutin Lisa Geuecke gelegt: Mit ihrer kürzlich mit dem Ergotherapie-Preis ausgezeichneten Arbeit über Erwachsene mit ADHS. Informationsmaterial zu den Behandlungsfeldern der Ergotherapie erhalten Interessierte bei den Ergotherapeuten vor Ort; diese sind über die Therapeutensuche im Navigationspunkt „Service“ des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.) auf www.dve.info zu finden.
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